Klimarebellin Käthi Mühlemann (65): Darum ging ich als Strassen-Blockiererin ins Gefängnis

Käthi Mühlemann (65) verbrachte kürzlich 24 Stunden im Gefängnis, weil sie als Aktivistin von Extinction Rebellion die Strasse blockiert hatte. So wollte die ehemalige Lehrerin auf die Klimaerwärmung aufmerksam machen. Acht Gründe für ihre Radikalität.

Klimarebellin Käthi Mühlemann (65): Darum ging ich als Strassen-Blockiererin ins Gefängnis
Maja Sommerhalder

1. Wut

«Ich, Käthi Mühlemann (65), bin wütend, wenn ich an die Klimaerwärmung denke. Schon seit den 70ern wissen wir Bescheid, doch es ist kaum was passiert. Im Gegenteil. Jahr für Jahr werden in der Schweiz mehr Autos zugelassen und die Industrie produziert weiterhin viel zu viel CO2. Schon heute spüren wir die Auswirkungen – Extremwetter, Waldbrände, Insektensterben und die Zerstörung von Korallenriffen sind nur einige davon. Künftig werden wohl ganze Landstriche unbewohnbar sein, weil der Meeresspiegel ständig steigt. Ich rechne mit mehr Hungersnöten, Flüchtlingsströmen und Unruhen.»

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2. Angst

«Diese Entwicklungen machen mir Angst. Obwohl ich eigentlich ein optimistischer Mensch bin, sehe ich schwarz für die Zukunft meiner Kinder und ehemaligen Schülerinnen und Schülern. Es muss sich etwas tun – die Zeit drängt. Ich möchte, dass auch meine Töchter einst mit ihren Kindern Vögel und Bienen beobachten können.

Gerold Brenner

3. Verantwortung

«Als älterer Mensch sehe ich mich in der Pflicht, aktiv zu werden. Schliesslich sind wir ein Teil dieser Entwicklung. Alle tragen mit ihrem Konsum zur Klimaerwärmung bei – auch die Jungen. Aber man kann sie nicht dafür verantwortlich machen, dass z.B. Flüge oder Fleisch so billig sind. Unsere Generation war am Aufbau dieses verrückten Wirtschaftssystems massgeblich beteiligt. Ich möchte jetzt niemandem ein schlechtes Gewissen machen. Jeder muss selbst entscheiden, ob und wie er sich engagiert. Auch ich schädige mit meinem Verhalten das Klima, indem ich hin und wieder fliege oder Auto fahre. Ein Grundsatz von Extinction Rebellion, den ich sehr gut finde, ist: no blaming, no shaming. Das heisst, niemand wird beschuldigt, niemand wird beschämt.»

Ivo Furrer

4. Rebellion

«Ich war schon immer ein politischer Mensch und machte mich als SP-Gemeinderätin in Oberengstringen ZH vor allem gegen soziale Ungerechtigkeiten stark. Auf den Umweltschutz achtete ich eher im Privaten – etwa bei der Ernährung. Kurz nach meiner Pensionierung erkannte ich aber, dass das Problem dringlicher geworden ist und schloss mich 2019 der Extinction Rebellion an. Damals sorgte die Klimajugend vor allem für Schlagzeilen, doch als älterer Mensch fühlte ich mich da nicht zugehörig.»

Über Extinction Rebellion

Extinction Rebellion (XR; Rebellion gegen das Aussterben) wurde 2018 gegründet und ist eine weltweit aktive Umweltschutzbewegung. Unter den Teilnehmern sind auch viele ältere Menschen. XR möchte mit Mitteln des zivilen Ungehorsams von Regierungen Massnahmen gegen die Folgen der Klimaerwärmung erzwingen. So blockierte eine lokale Gruppe am 4. und 5. Oktober 2021 die Strassen im Stadtzürcher Zentrum. Wegen solcher Gesetzesverstösse wird die Bewegung auch immer wieder kritisiert.

5. Ziviler Ungehorsam

«Wir befinden uns in einem Notstand. Deshalb braucht es relativ radikale Aktionen, um auf die Klimaerwärmung aufmerksam zu machen. Damit meine ich nicht Gewalt. Da bin ich absolut dagegen. Extinction Rebellion hat sich für den zivilen Ungehorsam entschieden, indem unsere Bewegung beispielsweise Strassen blockiert. Für mich ist das ein geeignetes Mittel, um die Leute und Politik aufzurütteln. Natürlich kann man einwenden, dass solche Blockaden Kosten verursachen oder einige Autofahrer verärgern, aber im Vergleich zu den Folgen der Klimaerwärmung ist das nichts.»

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6. Selbstgewählte Verhaftung

«Anfang Oktober blockierte ich mit rund 130 Aktivistinnen und Aktivsten die Uraniastrasse im Stadtzentrum von Zürich. Mir war klar, dass wir wahrscheinlich verhaftet würden. Die Vorstellung eine Nacht in der Zelle verbringen zu müssen, machte mir zwar etwas Angst. Doch die 24 Stunden in Haft waren weniger schlimm als gedacht. Ich hatte eine nette Zellennachbarin und konnte sogar schlafen. Ausserdem war die Polizei sehr freundlich und professionell.

Der Tag ohne Ablenkung tat mir nicht schlecht. Im Gefängnis hat man ja weder Handy, Fernseher noch Bücher. Nur ein paar Heftchen stellten sie uns irgendwann zur Verfügung. Trotzdem war ich froh, als ich entlassen wurde. Mit der Zeit ist ein solcher Gefängnisaufenthalt sicher belastend. Übrigens muss ich meine Verhaftung aus eigener Tasche bezahlen. Ich erwarte, dass einiges an Kosten auf mich zukommt. Aber die übernehme ich ohne Reue.»

7. Selbstbestimmte Radikalität

«Für mich bedeutet selbstbestimmt leben im Alter auch, dass man sich vor den Konsequenzen seines Handelns weniger fürchten muss – zumindest schädigt ein Eintrag im Strafregister meine berufliche Karriere nicht mehr. Als Lehrerin hätte ich mich öffentlich niemals so radikal gegeben und diese extreme Seite von mir gezeigt. In nächster Zeit werde ich vermutlich nicht mehr die Strasse blockieren. So bald möchte ich nicht wieder ins Gefängnis. Ich werde aber weiterhin bei den Aktionen von Extinction Rebellion aktiv dabei sein.»

8. Gemeinschaftliche Lösungen

«Ein Patentrezept, wie man den Klimawandel aufhalten kann, habe ich nicht. Ich bin eine Verfechterin von Bürger:innenversammlungen, die aus Mitgliedern aus allen Bevölkerungsschichten bestehen. Diese sollen paritätisch Beschlüsse für das Klima fällen, die dann auf Bundesebene als zusätzliche Stimme gehört werden. Nur wenn grosse Teile der Gesellschaft mitziehen, sind Veränderungen möglich. Sicher bedeuten Massnahmen gegen die Klimaerwärmung auch Einschränkungen und Verzicht für uns alle. Ich bin aber auch dafür, dass Grosskonzerne stärker zu Kasse gebeten werden. Schliesslich gehören sie zu den grössten Verursachern. Ebenfalls kann die Schweiz viel zur Lösung des Klimaproblems beitragen. Sie hat als wichtiger Finanz-, Innovations- und Rohstoffhandelsplatz weltweit einen grossen Einfluss.»

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