«Meine erste Beziehung zu einer Frau lebte ich sechs Jahre im Verborgenen»

Barbara Bosshard (70) setzt sich dafür ein, dass Homosexuelle, Inter- und trans Menschen würdevoll und diskriminierungsfrei altern können. Die Präsidentin von queerAltern weiss genau, was es heisst, wenn man seine Sexualität verstecken muss und ausgegrenzt wird.

«Meine erste Beziehung zu einer Frau lebte ich sechs Jahre im Verborgenen»
Maja Sommerhalder

«Selbstbestimmt leben im Alter heisst für uns queere Menschen, dass unser Umfeld unsere Biografien berücksichtigt. Denn diese sind nicht so gradlinig, wie die Biografien von vielen Heteros. Wir älteren Lesben, Schwule, Intersexuelle und trans Menschen mussten unsere Sexualität verstecken, haben Diskriminierung und Ausgrenzung erfahren und erlebt, wie viele unserer Freunde an Aids starben.

Uns ist es wichtig, dass sich die Gesellschaft dafür interessiert und uns gleichberechtigt behandelt. Wenn das Stimmvolk am 26. September die Abstimmungsvorlage «Ehe für alle» annimmt, ist das ein wichtiger Schritt. 1971 wurde ich mit dem Frauenstimmrecht als Frau gleichberechtigt. Ich hoffe sehr, dass ich es 2021 vom Gesetz her als Lesbe sein werde.

Nicht mal meine Eltern wussten von meiner Beziehung

Ich bin 1951 geboren. In meiner Jugend lebte ich in heterosexuellen Beziehungen. Wahrscheinlich hätte ich mich schon viel früher für Frauen interessiert, wenn Homosexualität bei uns in der Schule thematisiert worden wäre. So traf ich meine erste Frauenliebe dann mit Mitte 20. Weil sie sich nicht als lesbisch outen wollte, musste auch ich meine Neigung verstecken. Sechs Jahre lang lebten wir unsere Beziehung ausserhalb unseres engsten Kreises im Verborgenen. Nicht mal meine Eltern wussten davon; meine Schwester dagegen schon. Das war eine schwierige Zeit und ich habe mich oft gefragt, was meine Frauenliebe für mein gesellschaftliches Leben bedeutet. Werde ich ausgestossen, ausgegrenzt?

Über Barbara Bosshard

Barbara Bosshard (70) aus Zürich ist Präsidentin von queerAltern. Der Verein fördert u.a. das soziale Leben von älteren Menschen aus der LGBTI*-Gemeinschaft und setzt sich für ein queeres Alterswohnen ein. Bosshard arbeitete vor ihrer Pensionierung für viele Jahre beim SRF als Journalistin. Sie schrieb zudem zwei Bücher: «Den Himmel berühren», das die Begleitung ihrer an Krebs erkrankten Lebenspartnerin thematisiert und «Verborgene Liebe», die Geschichte von Röbi Rapp und Ernst Ostertag.

*Das Kürzel LGBTI steht für «Lesbians, Gays, Bisexuals, Transgenders, Intersexuals»

Nach sechs Jahren ging die Beziehung in die Brüche und ich traf eine neue Frau. Diesmal lebten wir unsere Liebe offen. Allerdings geküsst haben wir uns nicht in der Öffentlichkeit, so wie dies hetero Paare mit einer Selbstverständlich machen. 

Meine Eltern haben gut reagiert. Meine Mutter machte sich aber Sorgen, dass ich im Alter alleine sein werde. Viele Leute fragten mich auch, ob ich es mir nicht anders überlegen möchte. Schliesslich könnten gleichgeschlechtliche Paare keine Kinder haben. Das war für unsere Generation tatsächlich keine Option.

Diagnose Krebs – das Gesetz schikanierte uns

Wir waren 14 Jahre zusammen, als meine Frau die Diagnose Krebs erhielt. Zehn Jahre kämpfte sie gegen die Krankheit, bis sie 2008 starb. Ich habe mir in dieser Phase zum ersten Mal gemeinsame Kinder gewünscht. Denn so hätte wenigstens ein Teil von ihr in unseren Nachkommen weitergelebt. Doch das Gesetz schikanierte uns nicht nur, indem wir keine rechtlich abgesicherte Familie gründen durften. So mussten wir gegenseitige Verträge unterschreiben, damit ich als Lebenspartnerin im Spital Zugang zu ihrem Bett erhielt oder bei Entscheidungen der Ärzte konsultiert wurde.

Zum Glück gibt es seit 2007 in der Schweiz die eingetragene Partnerschaft, die solche rechtlichen Dinge regelt. Doch wirklich gleichgestellt werden wir erst mit einem Ja am 26. September sein. Dann können wir wie Heteros zivil heiraten und über eine ganz normale Familiengründung nachdenken.

Wir müssen unsere Kontakte frühzeitig pflegen, um im Alter nicht einsam zu werden

Mittlerweile lebe ich seit vielen Jahren wieder in einer Beziehung und die Kinderfrage ist kein Thema mehr für uns. Dafür sind wir zu alt. Alleine im Alter bin ich also nicht, wie meine Mutter einst befürchtete. Wir queere Menschen brauchen aber mehr Eigeninitiative, um in diesem Lebensabschnitt nicht einsam zu sein. So sind viele Heteros in ihren biologischen Ursprungsfamilien integriert und durch ihre Enkel stark eingespannt. Wir müssen hingegen unsere Wahlfamilie finden und unsere Kontakte schon frühzeitig pflegen. Sonst besteht die Gefahr vergessen zu gehen – insbesondere, wenn man gebrechlich und nicht mehr so mobil ist.

Ich empfehle deshalb, dass man sich in einer Gemeinschaft engagiert, beispielsweise durch Freiwilligenarbeit. Ich amte als Präsidentin des Vereins queerAltern, der auch das soziale Leben fördert. So organisieren wir regelmässig Anlässe und haben eine Art Aktivitätenbörse für gemeinsame Unternehmungen oder gemeinsames Zusammensein.

Ein Lebensort für ältere, queere Menschen in der Stadt Zürich

Ebenfalls fördern wir das queere Wohnen und eine queer-gerechte Pflege. Derzeit projektieren wir gemeinsam mit der Stadt in Zürich einen Wohn- und Lebensraum für ältere queere Menschen – ein Pionierprojekt in der Schweiz. Ab 2025 sollen im Ersatzneubau der Siedlung Espenhof rund 20 Alterswohnungen bezugsbereit sein. Im selben Gebäude stehen zudem drei Pflegewohngruppen mit 24 Plätzen zur Verfügung.

Unsere Gemeinschaft braucht einen Ort, wo wir würdevoll und diskriminierungsfrei altern können. Denn in konventionellen Alterseinrichtungen haben es queere Menschen oft schwer. Viele verstecken ihre Identität erneut, aus Angst vor Ausgrenzung.

Komische Blicke des Gesundheitspersonals können sehr verletzend sein

Wichtig ist uns, dass wir mit der Stadt zusammen aufgeschlossene Pflegefachleute finden, die unsere Besonderheiten berücksichtigen. queerAltern setzt sich dafür ein, dass unsere Bedürfnisse in der Ausbildung vermehrt thematisiert werden. So benötigen Menschen nach einer Geschlechtsumwandlung im Intimbereich eine besondere Pflege. Auch komische Blicke des Gesundheitspersonals können sehr verletzend sein, wenn sich beispielsweise jemand anders kleidet, als er oder sie untenrum aussieht.

Unsere Gesellschaft muss aufpassen, dass Vorurteile nicht zu Urteilen werden. Ich bin aber hoffnungsvoll, dass künftig Beziehungen in ihrer Vielfalt offen gelebt werden dürfen. Bis dahin ist noch ein Wegstück, denn queere Menschen erfahren in ihrem Alltag auch heute noch physische und psychische Gewalt. Deshalb hören wir nicht auf, für mehr Akzeptanz zu kämpfen. Wir wollen sichtbar sein und nicht länger ausgegrenzt werden.»