Wer auf Pflege angewiesen ist, profitiert von einer guten Beziehung zu seiner Betreuungsperson. Respekt und Vertrauen erleichtern auch die Arbeit des professionellen Pflegepersonals oder der Angehörigen.
Allerdings kann es in der Pflege zur Gewalt kommen. Diese hat viele Gesichter und kann physisch oder psychisch sein. Auch empfindet jeder Gewalt unterschiedlich und sie passiert nicht nur immer absichtlich, sondern auch aus «Unwissen» oder «aus Versehen». Manche Taten sind strafrechtlich relevant, andere nicht.
In jedem Fall ist es wichtig, die Anzeichen frühzeitig zu erkennen und zu handeln. Dieser Ratgeber soll für die Formen der Gewalt sensibilisieren und Handlungsanweisungen geben.
Es ist nicht einheitlich definiert, was Gewalt gegen ältere pflegebedürftige Menschen genau ist. Eine allgemeine Definition von Gewalt gegen ältere Menschen gibt es aber von der Weltgesundheitsorganisation (WHO): Diese ist «eine einmalige oder wiederholte Handlung oder das Unterlassen einer angemessenen Reaktion im Rahmen einer Vertrauensbeziehung, wodurch einer älteren Person Schaden oder Leid zugefügt wird.»
Wie viele Pflegebedürftige von Gewalt betroffen sind, ist in keiner Schweizer Statistik erfasst. Ein Bundesratsbericht hat aber 2023 eine Bestandesaufnahme zum Thema Gewalt im Alter publiziert. Jährlich sind demnach schätzungsweise zwischen 300’000 und 500’000 Personen ab 60 Jahren von einer Form von Gewalt oder Vernachlässigung betroffen. Der Missbrauch betrifft Menschen, die zu Hause oder in einem Heim leben.
Pflegebedürftige sind gefährdet, Opfer von Gewalt zu werden. Denn oft können sie sich nicht mehr gut mitteilen, sind auf Hilfe angewiesen oder körperlich schwach. Häufig ist das Thema auch schambehaftet, weshalb viele Opfer nicht darüber sprechen.
Wichtig ist aber, dass die Gewalt nicht nur von den Pflegekräften oder pflegenden Angehörigen ausgeübt werden kann. Auch pflegebedürftige Personen können Grenzen überschreiten – sei es gegenüber Pflegekräften, Angehörigen oder einer anderen pflegebedürftigen Person (z. B. Mitbewohner eines Pflegeheimes). Möglich ist auch, dass Pflegefachleute Gewalt von Angehörigen oder Kollegen erfahren.
Unter Gewalt verstehen viele körperliche Übergriffe. Doch das ist nicht alles. Gemäss der Deutschen Stiftung Qualität in der Pflege (ZQP) wird vor allem zwischen körperlicher und psychischer Gewalt unterschieden, doch es gibt noch weitere Formen, die wir weiter unten näher mit Fallbeispielen beleuchten.
Hinweis: In diesem Kapitel wird hauptsächlich die Gewalt besprochen, die Pflegebedürftige erfahren.
Die Grafik zeigt die sechs verschiedenen Gewaltformen in in der Pflege.
Diese Form ist besonders schwerwiegend und kann sich folgendermassen äussern.
Subtiler ist oft psychische Gewalt. Hier einige Fallbeispiele:
Pflegende vernachlässigen ihre Klienten, wenn sie nicht angemessen auf ihre Bedürfnisse eingehen und ihnen dadurch schaden. Einige Beispiele:
Mit freiheitsbeschränkenden Massnahmen wird der Betroffene in seiner Fortbewegungsfreiheit eingeschränkt. Dies kann folgendermassen passieren:
Allerdings gibt es Voraussetzungen, unter denen etwa Pflegeinstitutionen die Bewegungsfreiheit einschränken dürfen. Diese sind im Erwachsenenschutzrecht geregelt und können etwa zum Schutz vor Unfällen, Stürzen, Selbstverletzungen oder der Gefährdung gegenüber Dritten zum Einsatz kommen. Allerdings werden solche Massnahmen durch Fachleute geprüft und es braucht in den meisten Fällen die Zustimmung des Betroffenen oder dessen vertretungsberechtigten Person.
Bei der finanziellen Ausbeutung kann es nur um ein paar Franken gehen, doch sie kann dem Opfer auch massiv schaden. Hier einige Beispiele:
Diese Form von Gewalt passiert oft im heimlich und die Scham der Betroffenen ist besonders gross. Gemeint sind unerwünschte Handlungen mit sexuellem Bezug – das kann mit und ohne Körperkontakt sein. Von sexualisierter Gewalt spricht man auch, wenn das Opfer die Situation nicht einschätzen kann. Ein paar Beispiele:
Nicht immer erkennt man Gewalt sofort. Denn etwa blaue Flecken oder Wunden können auch durch Stürze verursacht werden. Auch schlagen die Opfer nicht immer Alarm – aus Scham, Angst oder weil sie sich nicht mehr richtig artikulieren können. Deshalb sollten Sie den Ursachen auf den Grund gehen, wenn Ihnen Folgendes an den Pflegebedürftigen auffällt:
Gewalt in der Pflege schädigt nicht nur die direkt Betroffenen. So leiden etwa in Pflegeheimen oder Seniorenresidenzen die Bewohnenden, die Zeugen der Tat waren. Weil sie nicht helfen konnten, haben sie manchmal Schuldgefühle. Oder sie haben Angst, selbst bald Opfer zu werden.
Weitere Folgen sind Frustration und Wut, aus denen wieder Gewalt entstehen kann. Manche Pflegebedürftige verhalten sich auch aggressiv gegenüber dem Personal. Denn es geht Vertrauen und Respekt verloren. Alles in allem kann Gewalt das Klima in Einrichtungen erheblich verschlechtern, was sich auch auf die Mitarbeitenden auswirkt. Die Folgen sind Ausfälle und Kündigungen.
Ist Ihnen eines der oben genannten oder anderen Anzeichen von körperlicher oder psychischer Gewalt aufgefallen, sollten Sie aktiv werden. Dies gilt auch, wenn Sie ein komisches Bauchgefühl haben oder selbst von der Gewalt betroffen sind. Angehörige sollten mit dem Betroffenen darüber sprechen und ihm Hilfe anbieten.
Unterstützung bieten auch Vertrauenspersonen oder eine der unten genannten Beratungsstellen. Dort erhalten Sie u. a. Tipps zum besten Vorgehen. Gegenfalls kontaktieren Sie auch die Leitung der Pflegeinstitution, des Pflegedienstes oder eine entsprechende Aufsichtsbehörde. Auch der Täterin oder dem Täter muss klargemacht werden, dass ein solches Verhalten nicht geduldet wird – wenn nötig mit Unterstützung.
Bemerken Sie körperliche Verletzungen, sollten Sie sich an einen Arzt wenden und die Polizei hinzuziehen. Die Polizei ist auch nötig, wenn das Opfer mutmasslich erpresst, massiv vernachlässigt oder bedroht wird.
Beobachten Sie Gewalt, dann handeln Sie. Versuchen Sie ruhig zu bleiben und sprechen Sie den mutmasslichen Täter an. Machen Sie ihm deutlich, dass sein Verhalten inakzeptabel ist, ohne dabei zu schimpfen oder ihn anzuklagen. Gegebenenfalls sollten Sie die Beteiligten trennen. Bringen Sie sich dabei aber nicht selbst in Gefahr. Entfernen Sie gefährliche Gegenstände und bewegen Sie sich möglichst ruhig. Holen Sie, sofern möglich, Hilfe – im Notfall auch die Polizei.
Nicht immer ist ein Vorfall so schwerwiegend, dass der «Täter» sofort entlassen oder angezeigt werden muss – etwa wenn ein Pfleger einmal unverhältnismässig laut wird. Trotzdem sollte man mit ihm möglichst bald über den Vorfall reden – am besten im geschützten Umfeld. Belehrungen oder Schuldzuweisungen gilt es zwar zu vermeiden, trotzdem sollten Sie ihm deutlich machen, dass sich die Situation nicht wiederholen darf. Ermutigen Sie ihn auch, fachliche Hilfe zu holen.
Die Gründe von Gewalt in der Pflege sind vielfältig. Oft kommen mehrere Faktoren zusammen. Manchmal geschieht sie nicht böswillig, sondern aus Unwissenheit: So ist einigen Menschen nicht bewusst, dass sie sich übergriffig oder unangemessen verhalten – ihnen fehlt die Sensibilisierung für das Thema.
Auch eine starke Belastung kann negative Gefühle auslösen. So lastet auf den pflegenden Angehörigen etwa ein grosser Druck – Schlafmangel, Erschöpfung, Niedergeschlagenheit können Folgen davon sein. Manchmal löst diese Überforderung Aggressionen oder gar ein gewalttätiges Verhalten aus. Deshalb ist es wichtig, dass die Betroffenen rechtzeitig nach Hilfe und Entlastungsmöglichkeiten suchen. Auch Freunde, Familienmitglieder oder Fachleute sollten handeln, wenn sie solche Zeichen der Überforderung feststellen.
Dies gilt auch für professionelle Pflegefachleute, die hohe Anforderungen erfüllen müssen. Ihre Arbeit fordert sie körperlich und seelisch stark. Hinzu kommen Zeitdruck, Fachkräftemangel, eine schlechte Bezahlung und unregelmässige Arbeitszeiten. Weitere Faktoren sind auch eine fehlende und mangelhafte Ausbildung von Pflegekräften.
Das Risiko zur Gewaltbereitschaft steigt auch bei Pflegenden, die selbst solche Erfahrungen gemacht haben. Weiter kann die Hemmschwelle bei Suchterkrankungen, gesundheitlichen oder finanziellen Problemen sinken.
Pflegende Angehörige übernehmen oft ohne lange Vorbereitung oder professionelle Unterstützung diese Aufgabe. Sie wissen nicht, wie lange sie etwa ihren Elternteil oder Partner pflegen müssen – es kommt zu Abhängigkeiten oder Rollenwechseln, die alle Beteiligten belasten können. Insbesondere, wenn das Verhältnis bereits früher angespannt war, können alte Konflikte wieder aufbrechen.
Aggressionsgefühle können, aber müssen nicht unbedingt zur Gewalt führen. Die Betroffenen sollten deshalb lernen, damit umzugehen und auf Überforderungsanzeichen achten. Dazu gehören körperliche und psychische Beschwerden wie:
Wenn Sie solche Anzeichen erkennen, dann holen Sie sich Hilfe. Diese bieten etwa Entlastungsdienste oder die Spitex auf professioneller Ebene. Manchmal kann auch ein Bekannter oder ein Familienmitglied kurzfristig einspringen.
Wichtig ist auch, sich regelmässig Auszeiten zu nehmen und kleine Entspannungsübungen in den Pflegealltag einzubauen. Auch gibt es bestimmte Situationen, die negative Gefühle auslösen. Überleben Sie sich, wie Sie diese vermeiden können.
Auch Wissen hilft, um eine körperliche und psychische Belastung zu vermeiden. Lernen Sie etwa, wie Sie rückenschonend arbeiten und informieren Sie sich, warum bestimmte Krankheiten bestimmte Verhaltensweisen (z. B. Demenz) auslösen. In Akutsituationen kann Folgendes helfen:
Die Belastung für pflegende Angehörige ist oft hoch. Hier sorgt eine deutschsprechende 24h-Betreuung durch Seniorencare24 für Entlastung. Mit dem Modell von seniorencare24 liegen die Kosten nicht nur tiefer als beim Altersheim, die Eins-zu-Eins-Betreuung ab CHF 4500 ist auch persönlicher.
Betreuungsperson findenJeder Mitarbeitende kann sich für eine gewaltfreie Pflege einsetzen – wichtig ist, dass er eine eindeutige Haltung zu diesem Thema hat. Eine grosse Rolle spielt bei der Prävention auch die Leitung der Institution, indem sie entsprechende Strukturen schafft und Risikofaktoren identifiziert.
Dabei sollte diese auf eine gute Kommunikationskultur achten, sodass das Personal Probleme meldet und sich Unterstützung holen kann. Auch ausreichend gut qualifiziertes Personal trägt wesentlich zur Verhinderung von Gewalt bei.
Auch wer auf Pflege angewiesen ist, kann gewalttätig werden – etwa gegenüber Angehörigen, professionellen Pflegekräften oder anderen Pflegebedürftigen. Die Ursachen dafür sind vielfältig. So kann etwa die Hilfslosigkeit, der Verlust der Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit zu einem gewalttätigen Verhalten führen. Weiter können bestimmte Krankheiten wie Demenz Wesensveränderungen und Aggressionen verursachen.
Nicht selten überfordert dieses Verhalten den Pflegenden emotional und er reagiert vielleicht ebenfalls aggressiv. Dies kann weitere Gewalt seitens des Pflegebedürftigen nach sich ziehen. Diese negative Entwicklung nennt sich Spirale der Gewalt, Eskalationsspirale oder Gewaltspirale.
Die eine Lösung gibt es nicht, da unterschiedliche Ursachen zur Gewalt führen. Wichtig ist, eine Gewaltspirale zwischen Pflegenden und Pflegebedürftigen zu vermeiden. Hier hilft besonnenes Verhalten. Pflegende sollten mit aggressiven Pflegebedürftigen freundlich, aber bestimmt sprechen. Auch hilft es, seine Bedürfnisse ernst zu nehmen und seine Selbstbestimmtheit zu fördern.
Versuchen Sie auch herauszufinden, was zu diesem Verhalten führt. Vielleicht kann man bei bestimmten körperlichen Beschwerden Erleichterung schaffen. Auch lösen bestimmte Situationen Gewalt aus. Etwa, wenn die Angehörigen bei der Intimpflege helfen. Solche Situationen können vermieden werden, indem zum Beispiel ein professioneller Pflegedienst diese Aufgabe übernimmt.
Gewisse Situationen lassen sich aber trotz dieser Massnahmen schlecht entschärfen. Verlassen Sie also im Akutfall den Raum und entfernen Sie präventiv Gegenstände, mit denen der Pflegebedürftige um sich werfen oder schlagen könnte.
Aggressives Verhalten wie Beleidigungen, Drohungen oder körperliche Angriffe von Patient:innen: Schweizweit haben 73 Prozent der Beschäftigten in Alters- und Pflegeheimen, Spitex, sozialmedizinischen Zentren und psychiatrischen Institutionen Erfahrungen mit Gewalt gemacht, wie auf der Website des Schweizer Berufsverbandes der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK - ASI steht.
Auch nimmt Gewalt in Schweizer Spitälern und Kliniken stetig zu, wie eine Auswertung des Bundesamtes für Statistik zeigt. 2024 registrierte die Kantonspolizeien rund 490 Gewaltstraftaten.
Wer auch immer von der Gewalt in der Pflege betroffen ist und was die Ursachen dafür sind: Es ist wichtig, aktiv dagegen vorzugehen und sich für eine gewaltfreie Pflege einzusetzen. Davon profitieren alle.
In einem ersten Schritt sollten alle Involvierten für das Thema sensibilisiert werden. Denn Gewalt ist nicht immer laut, sie kann sich auch leise und subtil äussern. Zweitens verhindert Prävention Gewalt. Dazu gehören etwa bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege und Entlastungsmöglichkeiten für die Angehörigen. Vielen Pflegebedürftigen ist zudem geholfen, wenn man ihre Bedürfnisse ernst nimmt und ihnen Selbstbestimmtheit ermöglicht.
Drittens gilt es zu handeln, wenn es doch zu Gewalt kommen sollte. Zögern Sie nicht, Hilfe zu holen. Verschiedene Stellen in der Schweiz bieten eine professionelle Beratung. Denn oft lassen sich solche Probleme nicht allein lösen.