Herr Vogt, ab 50 wird es schwierig, eine neue Stelle zu finden. Stimmt das?
Valentin Vogt: Das sagen vor allem die Gewerkschaften. Aber es ist nicht so und nie so gewesen. Es gibt einzelne ältere Menschen, die keine Arbeit mehr finden. Aber das sind eher Einzelfälle, die es in allen Altersgruppen gibt. Bei den jüngeren Arbeitnehmenden ist die Arbeitslosenquote höher. Im Alter dauert die Stellensuche einfach länger.
Warum?
Man ist nicht mehr so breit einsetzbar wie in jungen Jahren, weil man ja sehr viel Berufserfahrung hat und oftmals spezialisiert ist. Deshalb gibt es weniger Jobs, die genau passen. Das heisst aber nicht, dass man auf dem Stellenmarkt nicht gefragt ist.
Allerdings sind ältere Arbeitnehmende benachteiligt, weil sie teurer sind. So erhalten sie mehr Lohn und die Firmen müssen für sie mehr Sozialabgaben leisten.
Beim BVG ist man dran. Momentan fliessen bei den 25-Jährigen 7 Prozent des Bruttolohns in die 2. Säule, dann wird die Abgabe stufenweise bis auf 18 Prozent für Menschen ab 55 erhöht. Diese Staffelung wird mit der BVG-Reform angepasst. Im Alter von 25 bis 44 Jahren soll neu eine Altersgutschrift von 9 Prozent gelten und ab 45 Jahren sieht der Entwurf 14 Prozent BVG-Abgaben vor.
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Zu unseren AngebotenUnd was ist mit dem Gehalt?
Bei den Anstellungsbedingungen erwarte ich mehr Flexibilität von den Arbeitnehmenden. Es ist nicht sinnvoll, dass das Gehalt mit den Berufsjahren immer mehr steigt und vor der Pensionierung das Maximum erreicht. Vielmehr sollte die Höhe die Leistung abbilden. Es gibt Situationen, in denen ältere Mitarbeitende bei einem Jobwechsel bereit sein sollten, finanzielle Abstriche in Kauf zu nehmen.
Valentin Vogt (61) ist Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbands und selbstständiger Unternehmer. Er ist zudem Präsident des Verwaltungsrats der Kistler Holding AG sowie Mitglied des Verwaltungsrats der Bucher Industries AG und der Ernst Göhner Beteiligungen AG. Zuvor war Vogt unter anderem VR-Präsident und CEO von Burckhardt Compression und übte im Sulzer-Konzern verschiedene Führungsfunktionen aus. Vogt wohnt im Zürcher Oberland, ist geschieden und hat zwei Kinder.
Wie wichtig sind Weiterbildungen für ältere Mitarbeitende?
Sehr wichtig. Leider erlebe ich es immer wieder, dass 50-Jährige der Ansicht sind, für sie mache eine Weiterbildung keinen Sinn mehr. Dabei müssen sie wie die Jüngeren dranbleiben und ständig dazulernen, um ihre Arbeitsmarktfähigkeit zu erhalten. Im Falle einer Arbeitslosigkeit ist es auch empfehlenswert, externe Hilfe in Anspruch zu nehmen, wie ein Bewerbungscoaching oder eine Standortanalyse. Der ältere Arbeitnehmer hat also vieles selbst in der Hand. Genauso wichtig ist es, dass Unternehmen ihren Mitarbeitenden solche Weiterbildungen ermöglichen. Denn für sie ist es von entscheidender Bedeutung, dass sie qualifiziertes Personal haben.
Sie sprechen den Fachkräftemangel in der Wirtschaft an.
Ja, es kommt eine gewaltige Herausforderung auf uns zu. In den nächsten Jahren gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Pension. Schweizweit sind das die Jahrgänge mit 100’000 bis 110’000 Geburten. In den Arbeitsmarkt treten heute Jahrgänge mit 70'000 Geburten ein. Das heisst, jedes Jahr fehlen 30’000 bis 40’000 Arbeitskräfte. Zusätzlich gehen wir davon aus, dass rund 20'000 neue Jobs pro Jahr in der Schweiz geschaffen werden. Diese Lücke müssen wir füllen, oder unsere Produktivität deutlich erhöhen, um unseren Wohlstand zu halten und die Altersvorsorge zu finanzieren.
Was kann man tun?
Einen Teil der Lücke müssen wir mit der Zuwanderung füllen. Allerdings gilt es parallel dazu, das inländische Potenzial der Mütter, der älteren Arbeitnehmenden, der Jugendlichen und der Menschen mit einer Beeinträchtigung auszuschöpfen. Wir vom Schweizerischen Arbeitgeberverband engagieren uns seit vielen Jahren für diese Gruppen. Gerade bei den Älteren liegt noch viel drin. Deshalb machen wir uns neu mit dem Verein focus50plus dafür stark, dass sie auf dem Arbeitsmarkt attraktiv bleiben (siehe Box).
Der Verein focus50plus unterstützt Unternehmen dabei, das Potenzial von Arbeitskräften ab 50 besser zu nutzen. Ebenfalls will er flexible und innovative Arbeitsmodelle attraktiver machen. Ein weiteres Ziel ist, den Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zu fördern und somit die Wettbewerbsstärke der Schweizer Wirtschaft langfristig zu sichern. Der Verein focus50plus wurde 2021 gegründet. Hinter dem Netzwerk steht der Schweizerische Arbeitgeberverband, sowie weitere Initianten, wie Helsana, Allianz, Novartis, UBS und Huber + Suhner.
Heisst das, die Älteren müssen länger arbeiten?
Ohne eine mittelfristige Erhöhung des Rentenalters droht der Altersvorsorge der Kollaps. Das heisst aber nicht, dass alle Menschen in Zukunft länger arbeiten werden. Dass jemand nicht bis 70 auf einer Baustelle tätig sein kann, ist klar. Für viele andere Berufsgruppen sollten aber mehr Anreize geschaffen werden, um nach 65 im Berufsleben zu bleiben – etwa mit flexiblen Arbeitsmodellen und der Erhöhung der Freibeträge bei den Sozialversicherungen. Man muss ja nicht mehr Vollzeit arbeiten, sondern kann sein Pensum Stück für Stück reduzieren. Ich verstehe auch nicht, wieso in den meisten Arbeitsverhältnissen das Erreichen des Rentenalters ein Kündigungsgrund ist.
In vielen Firmen läuft das aber so. Da werden die meisten Mitarbeitenden mit 65 in die Pensionierung verabschiedet.
Da findet ein Umdenken statt. Bei Burckhardt Compression, wo ich früher Präsident des Verwaltungsrates war, war der älteste Mitarbeiter 80. Er entwickelte für uns einst eine Software und unterhielt diese weiter. Alle freuten sich, wenn er einmal pro Woche noch in die Firma kam.
Das klingt fast so, als ob goldene Zeiten auf ältere Arbeitnehmende zukommen. Warum fühlen sich denn so viele trotzdem auf dem Abstellgleis?
Es ist tatsächlich so, dass künftig ein noch grösserer Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften entstehen wird, und Firmen erkennen das riesige Potenzial der älteren Mitarbeitenden immer mehr. Ich persönlich habe nicht den Eindruck, dass ältere Mitarbeitende auf dem Abstellgleis stehen. Die Unternehmen können von der grossen Berufserfahrung profitieren. Wie ich bereits gesagt habe, ist es in der Wirtschaft wichtig, dass man stets flexibel bleibt und bereit ist zu lernen.
Sie selbst sind jetzt 61. Wie werden Sie Ihre nächsten Berufsjahre gestalten?
Wenn es meine Gesundheit erlaubt, werde ich über das offizielle Pensionsalter hinaus aktiv bleiben. Mein Pensum werde ich stufenweise reduzieren und gewisse Mandate abgeben. Auch ich brauche im Alter mehr Erholung. Früher kam ich mit 4 Stunden Schlaf gut aus, heute müssen es schon 6 oder 7 Stunden sein.
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