«Viele Frauen der Babyboomer-Generation sind noch voller Tatendrang»

Clivia Koch war einst als Führungskraft allein unter Männern. Heute zeigt die Präsidentin der Wirtschaftsfrauen Schweiz anderen die beruflichen Stolpersteine auf. Warum sich diese Frauen oft selbst in den Weg legen und was ältere Chefinnen auszeichnet, verrät sie im Interview.

Clivia Koch – Präsidentin der Wirtschaftsfrauen Schweiz.
Clivia Koch: «Ich spreche Dinge klarer an als früher und erlaube mir mehr – es müssen nicht alle mit mir einverstanden sein.»
Maja Sommerhalder

Frau Koch, wie geht es den beruflich erfolgreichen Frauen, die kurz vor ihrer Pensionierung stehen?
Clivia Koch: In meinem Umfeld sind viele Frauen der Babyboomer-Generation noch voller Tatendrang. Sie möchten über ihre Pensionierung hinaus für ihr Unternehmen arbeiten – häufig in beratender Tätigkeit. Oder sie wagen nochmals den Schritt in die Selbstständigkeit und gründen eine eigene Firma.

Woher diese Schaffenskraft?
Diese Frauen haben sich in ihrer Laufbahn viel Wissen angeeignet, das sie nun weitergeben oder darauf aufbauen möchten. So hat eine Bekannte eine psychiatrische Spitex gegründet, die sehr gut läuft. Andere machen sich im Bereich der Frauenförderung oder als Coach selbstständig.

Der Wunsch sich weiter zu engagieren ist das eine. Wie sieht es mit den finanziellen Aspekten aus?
Diese spielen sicher auch eine grosse Rolle. So arbeitete die Mehrheit der Frauen aus meiner Generation über viele Jahre in Teilzeit. Uns wurde suggeriert, dass dies mit dem Einkommen des Ehegatten für das Alter reiche – das tut es aber nicht. Insbesondere nach einer Scheidung stehen viele Frauen schlecht da und landen in der Altersarmut.

Bei den Jungen sieht es heute nicht viel besser aus – gerade Mütter sind selten in einem Vollzeitpensum oder in einer Führungsposition tätig.
Leider hinkt da die Schweiz hinterher. Die Kinderbetreuung ist viel zu teuer und Unternehmen könnten familienfreundlicher werden. Auch sind traditionelle Rollenbilder noch in unseren Köpfen – es liegt an uns allen, diese aufzubrechen.

Wie meinen sie das?
Männer sollten stärker in die Care-Arbeit eingebunden und selbstbewusster werden, um auch Frauen ans Ruder zu lassen. Es gilt, eine neue Reife zu entwickeln und dabei uralte Annehmlichkeiten loszulassen – etwa die Macht.

Vielen Frauen mangelt es aber an Selbstbewusstsein oder sie sehen sich zu sehr in der Opferrolle. Die Welt wird nur umdenken, wenn wir Frauen uns selbst mehr ver- und zutrauen und die Dinge, die uns am Herzen liegen, mit Zielstrebigkeit verfolgen.

Nun gibt es aber noch viele Missstände…
Ja, aber es nützt niemandem, wenn Frauen in dieser Rolle verharren. Sie sollten mehr für ihre Sachen einstehen und klarer kommunizieren. So sind sie etwa bei Meetings oft wage in ihren Aussagen – aus Angst, damit anzuecken. Ich erlebe bei meiner Arbeit bei den Wirtschaftsfrauen Schweiz auch, dass insbesondere jüngere Frauen häufig zu wenig fokussiert sind, um bestimmte Projekte durchzuziehen. Da sind ältere Frauen verlässlicher.

Diese haben auch weniger familiäre Verpflichtungen.
Sicher hat das damit zu tun. Heute haben Frauen auch sehr viele Möglichkeiten, die wir nicht hatten. Sich für eine Sache zu entscheiden, ist da schwer. Gleichzeitig gibt es mehr gesellschaftliche Erwartungen, wie eine Frau sein sollte – ob im Bereich der Karriere, der Familie und des Aussehens – überall herrscht Perfektionismus. Kein Wunder führt das zu Stress. Ich wünschte mir, dass Frauen viel spielerischer an Herausforderungen rangehen, anstatt immer alles richtig machen zu wollen.

Gelang Ihnen das als junge Frau?
Ja, solche meist mediengemachte Rollenbilder gab es damals noch nicht. Ich komme aus einer Unternehmerfamilie – meine Grossmutter und Mutter waren beide berufstätig. Für uns vier Töchter war immer klar, dass wir ebenfalls unabhängig sein und etwas bewegen möchten. Wir zogen alle Kinder gross und arbeiteten trotzdem. Dabei unterstützten uns unsere Grossmütter und der Nachwuchs wurde in die Hausarbeit eingebunden.

Sie waren schon in Ihren 20ern in Führungspositionen. Wie erlebten Sie dies in einer noch sehr männerdominierten Welt.
(Lacht) Etwas anderes kam für mich nie infrage, da ich mich schlecht führen lasse. In meiner Position half mir, dass ich immer sehr klar war und auch mal laut werden konnte. Da ich zierlich gebaut und nur 1.57 Meter gross bin, hätte man das von mir nicht erwartet. Zudem eignete ich mir immer rasch grosses Wissen an – insbesondere in Spezialgebieten. Dadurch machte ich mich unverzichtbar.

Das hört sich nach viel Arbeit an.
Das ist so. Als ich eine Führungsposition mal aufgegeben habe, erhielt mein Nachfolger sofort eine Assistentin. Doch nicht nur Fleiss brachte uns weiter. Man gab damals jungen Talenten auch mehr Chancen, etwas auszuprobieren. Heute wird erwartet, dass sofort alles funktioniert.

Über Clivia Koch

Clivia Koch ist Präsidentin der Wirtschaftsfrauen Schweiz und seit gut zehn Jahren Inhaberin der Beratungsgesellschaft «Koch Pohl Consulting GmbH». Schwerpunkte ihrer Firma sind Leadership, Team- und Organisationsentwicklung. Zuvor war die Betriebsökonomin während 30 Jahren im Versicherungs- und Finanzsektor in Führungspositionen tätig. Unter anderem war sie CEO der Pensionskasse Energie, Arbeitgeber-Stiftungsrätin der Migros-Pensionskasse und Schulungsleiterin für betriebliches Sozialwesen.

Viele Frauen fühlen sich von ihren männlichen Kollegen unterdrückt. Wie haben Sie das erlebt?
Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht – ich wollte mir einfach eine Karriere aufbauen und arbeitete so lange, bis ich besser war als die anderen. Für mich war das eine Art Wettbewerb, bei dem es darum geht, auf eine spielerische Art ein bestimmtes Ziel zu erreichen.

Darin sind Männer gut und sie unterstützen einander. Bei den Frauen gibt es da mehr Konkurrenzkämpfe, die von Neid geprägt sind. Es herrscht Missgunst, wer schöner ist oder den besseren Job hat. Leider gönnen sie sich ihre Erfolge zu wenig.

Das klingt so, dass Frauen wie Männer sein müssten.
Überhaupt nicht. Beide Geschlechter können voneinander lernen. Ich finde sogar, dass sie sich oft zu sehr den Männern anpassen – wenn sie etwa in Führungspositionen kommen, tragen sie plötzlich nur noch dunkle Anzüge. Dabei holt man sie doch in solche Positionen, weil man Vielfalt will.

Was können Frauen denn besonders gut?
Unsere Arbeitsmodelle werden vermehrt von Kooperation, einer ausgewogenen Work-Life-Balance und flexiblen Führungsstilen geprägt sein. Diese Veränderungen entsprechen eher den Stärken und Vorlieben vieler Frauen und bieten ihnen neue Möglichkeiten, ihre spezifischen Talente weiterzuentwickeln.

Sie sind selbst eine Verfechterin der Frauenquote.
Sie ist nicht mehr so nötig wie früher, da nun tatsächlich mehr Frauen in Verwaltungsräten oder in politischen Ämtern sitzen. Als es beispielsweise nur eine Bundesrätin von sieben gab, war sie eine Exotin und man hat ganz genau auf ihr Aussehen geachtet. Heute sind mehrere Bundesrätinnen eine Selbstverständlichkeit und im öffentlichen Diskurs geht es vorwiegend um ihre Leistungen.

Also gibt es genügend Frauen an der Macht?
Nein. Insbesondere auf Ebene der Geschäftsleitung sind diese noch stark untervertreten. Es ist zwar schön, dass der weibliche Anteil in Verwaltungsräten inzwischen bei 30 Prozent liegt, nur holt man dafür auch viele Frauen aus dem Ausland.

Wie ist es, wenn Frauen in Führungspositionen älter werden? Da heisst es oft, sie werden nicht mehr so von anderen gesehen.
Das sehe ich nicht so. Es kommt auf die innere Haltung an, wie man ankommt. Vielleicht wird man im Alter nicht mehr als Sexualobjekt wahrgenommen, aber das kann auch eine Befreiung sein. Ich selbst spreche Dinge klarer an als früher und erlaube mir mehr – es müssen nicht alle mit mir einverstanden sein. Erfahrene Frauen in Führungspositionen sind zudem oft gute Beziehungsmanagerinnen. Sie helfen dabei, Mitarbeitende zu fördern und zu halten, was wichtig für den Erfolg jedes Unternehmens ist.

Doch das Alter macht auch vielen Frauen Angst.
Ja, insbesondere prominente Persönlichkeiten versuchen schon mit 30 mit Schönheit-OPs ihre Jugendlichkeit zu erhalten. Nichts gegen dezente Eingriffe. Aber wo bleibt die Ausstrahlung und Individualität, wenn am Ende alle gleich aussehen?