Prämien-Entlastungs-Initiative und Kostenbremse-Initiative: Wie abstrakt die Initiativen sind, zeigt sich nur schon bei ihren Bezeichnungen:
Bei beiden Initiativen liegen indirekte Gegenvorschläge des Parlamentes vor. Diese treten bei einem Nein bei der Abstimmung vom 9. Juni und beim Ausbleiben eines Referendums automatisch in Kraft.
Die Partei der Mitte hat die sogenannte Kostenbremse-Initiative 2020 eingereicht. Der Bund soll gemeinsam mit den Kantonen und den Akteuren im Gesundheitswesen dafür sorgen, dass die Prämien in der obligatorischen Krankenversicherung nicht mehr steigen, als die Wirtschaft wächst und die Löhne angepasst werden. Konkret: Sobald die Gesundheitskosten durchschnittlich pro Jahr und Person mehr als 20 Prozent stärker steigen als die Löhne, sollen Bund, Kantone und die Gesundheitsakteure Massnahmen zur Kostensenkung ergreifen.
Die Initiative führte bereits zu aufwändigen gesetzgeberischen Diskussionen im Parlament und letztlich zu einem indirekten Gegenvorschlag (gesetzgeberische Anpassungen).
Wie abstrakt und letztlich auch kaum fassbar die Initiative ist, hat sich beim Gegenvorschlag gezeigt: Mittels neuer Kommissionen und unter Einbezug von Qualitätsmessungen sollen die Kosten genau ermittelt, kontrolliert und letztlich über die Zeit beeinflusst werden. Ein Unterfangen, das vor allem bürokratische Aufwände, aber wohl kaum Mehrwerte bringen dürfte.
All die Bemühungen des Parlamentes haben aber nicht dazu geführt, dass die Initiative zurückgezogen wurde. Die Initianten zeigten sich nicht befriedigt, weshalb das Volk nun zu einer Abstimmung aufgefordert ist.
Die Initianten erhoffen sich, dass mit einer Annahme der Vorlage wesentlich rigider als bisher vorgesehen in jene Kosten, die über die Prämien der obligatorischen Grundversicherung bezahlt werden, eingegriffen wird.
Genau dies birgt das Risiko in sich, dass dies auf Bundesebene «hilflos» und letztlich gleichzeitig «rigide» umgesetzt wird. Damit ist genau die von den Gegnern erwähnte «Rationierungsgefahr» gemeint. Die Stimmbürger:innen würden bei einem Ja «die Katze im Sack kaufen», da vollkommen unklar ist, wie die Initiative umgesetzt werden soll.
Direkte Kosten sind mit der Initiative nicht verbunden. Im Gegenteil: Das Ziel liegt ja darin, Kosten zu senken. Allerdings dürfte die Umsetzung der Initiative sehr aufwändig sein und entsprechend personelle Kapazitäten binden.
Schade, dass die an sich löbliche Initiative «nur» die über die Prämien der Grundversicherung bezahlten Kosten aufgreift und diesbezüglich kaum konkrete Vorschläge beinhaltet. Insbesondere sind die Mehrfachrollen der Kantone (aktuelle Defizitdeckungen von Spitälern) nicht Gegenstand der Initiative. Dass sich das Parlament damit mehr als schwertut, haben die Gesetzesarbeiten zum indirekten Gegenvorschlag gezeigt.
Ausgerechnet dem eidgenössischen Parlament den Ball wieder zuzuspielen, birgt ein grosses zeitliches und inhaltliches Risiko in sich. Die Initianten hätten einen wesentlich griffigeren Text vorlegen müssen.
Der Autor empfiehlt deshalb ein Nein.
Gespannt darf man sein, ob bei einer Ablehnung der Initiative gegen den indirekten Gegenvorschlag ein Referendum erfolgen und das Volk diesbezüglich nochmals abstimmen wird.
Die Initianten, die Sozialdemokratische Partei der Schweiz, möchten mit der 2020 eingereichten Prämien-Entlastungs-Initiative die Prämien der Haushalte entlasten. Diese sollen für Prämien in der obligatorischen Krankenversicherung maximal 10% ihres Einkommens aufwenden müssen. Sie müssten von Bund und Kantonen entsprechend entlastet werden, wenn die Prämien mehr als 10% des Einkommens ausmachen.
Bereits aktuell werden die Prämien durch das Instrument der Prämienverbilligung «entlastet». So erhalten aktuell etwas mehr als 25% der Bevölkerung eine durch Bund und Kantone finanzierte «Entlastung». Anspruch und Höhe der Begünstigungen sind je Kanton sehr unterschiedlich geregelt. Der Bund wendete 2022 fast CHF 3 Milliarden dafür auf. Die Kantone leisteten zusammen Beiträge in der Höhe von CHF 2.5 Milliarden.
Mit dem Gegenvorschlag würde der Anteil des Bundes an die Prämienverbilligung (7.5% der Kosten) gleichbleiben und weiterhin automatisch an die Kostenentwicklung angepasst. Die Kantone müssten zwingend einen minimalen Anteil übernehmen, was schweizweit zu Mehrkosten von CHF 360 Millionen führen würde.
Die mit der Initiative verbundenen Mehrkosten wurden einerseits vom Gewerkschaftsbund und anderseits vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) geschätzt. Der Gewerkschaftsbund hat auf der Basis von Daten aus dem Jahr 2016 Mehrkosten von CHF 3.2 bis 4 Milliarden ermittelt. Das BAG kommt in seinen Berechnungen im Jahr 2030 auf Mehrkosten von CHF 8.2 Milliarden (Bund 6.5 / Kantone 1.7).
Die Zahlen sind mit grossen Unsicherheiten verbunden, weil die Einkommenssituationen schwer voraussehbar sind. So können die Einkommen auch hinsichtlich der Prämienentlastung seitens der Haushalte optimiert werden (zum Beispiel über Einkäufe in Pensionskassen oder Vermögensbezüge statt Rente).
Die Initianten zeigen sich mit dem indirekten Gegenvorschlag – zusätzliche Mittel von CHF 360 Millionen und stärkerer Verpflichtung der Kantone – nicht zufriedengestellt. Sie halten an der Initiative fest.
Das an sich bezüglich Gerechtigkeit (Einkommensbestimmung) und Wirksamkeit (Geldverteilung unabhängig von Verhalten) umstrittene Instrument der Prämienverbilligung wird mit der Initiative massiv aufgebläht. Die Finanzierung ist nicht gesichert. Die Gefahr einer reinen «Volksberuhigung», ohne an den Kosten etwas zu verändern, ist inhärent: Bezüglich der weiteren Kostenentwicklung im Gesundheitswesen wird der Leidensdruck gemildert. Die Akteure des Gesundheitswesens können weiter handeln wie bisher.
Die Initiative dürfte dazu führen, dass die Menschen in der Schweiz ihre Einkommen weiter und gezielter optimieren, um in den Genuss dieser massiv erhöhten Mittel zu gelangen. Wer arbeitet, wer Geld verdient, wer dieses auf dem Lohnausweis deklariert, wer Rente bezieht und darauf Steuern bezahlt, wird bestraft.
Diese Verteilung ist zwar mit «Prämienentlastung» bezeichnet, hat aber letztlich mit dem Gesundheitswesen nur bezüglich der Bestimmung der Mittel zu tun.
Eine dringend notwendige Beeinflussung der Kosten im Gesundheitswesen ist damit nicht verbunden. Im Gegenteil: Steigen die Kosten, dann gibt es automatisch mehr Prämienentlastung. Ein solcher Mechanismus ist im Kern bedenklich.
Der Autor empfiehlt deshalb ein Nein.
Bei einer Ablehnung der Initiative dürfte ein Referendum gegen den indirekten Gegenvorschlag eher unwahrscheinlich sein. Das würde bedeuten, dass in jedem Fall mindestens zusätzliche Mittel in der Höhe von CHF 360 Mio. in die Prämienverbilligung einfliessen.
Otto Bitterli hat sich ein Berufsleben lang an der Schnittstelle zwischen Privat- und Sozialversicherung bewegt. Er kommt ursprünglich von der Privatversicherungsseite (Winterthur) und hat dann bei der Sanitas als Geschäftsleitungsmitglied, als CEO und 1 Jahr als Verwaltungsratspräsident (VRP) gearbeitet. Aktuell ist er Berater und in mehreren VR und Boards tätig, unter anderem als VRP der Helvetic Care AG.
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