Wie sieht die Altersvorsorge 2050 aus?
An der Veranstaltung vom 4. September in Zürich ging Prof. Dr. Yvonne Seiler Zimmermann (Fachhochschule Luzern) eingangs der Frage nach, wie die Altersvorsorge 2050 ausgestaltet sein könnte. Klar ist, dass dies sehr eng mit dem im Jahr 2050 herrschenden gesellschaftlichen Verständnis zusammenhängt und diesbezüglich hypothetische Annahmen getroffen werden müssen.
Diese Annahmen lagen für Yvonne Seiler Zimmermann im Wesentlichen in einer evolutiven Weiterentwicklung der bestehenden gesellschaftlichen Trends hin zu mehr Selbstgestaltung und Eigenverantwortung. Die Fachhochschule geht deshalb von einer Bemessung der Rente auf Basis einer Lebensarbeitszeit aus. Auch plädiert die Wissenschaftlerin Seiler Zimmermann für die Erfassung sämtlicher geleisteter Arbeiten (nicht nur jener aus Arbeitsverträgen) zur Bemessung der künftigen Renten.
Die Fachhochschule Luzern fordert in der Studie eine erhöhte Risikobereitschaft der Gesellschaft (z. B. an den Kapitalmärkten) und weniger politische Entscheide im Zusammenhang mit dem Vorsorgesystem.
Ob die aktuelle BVG-Vorlage sich positiv auf die prognostizierte Veränderung auswirken wird, beurteilte die Referentin ambivalent.
Schade, dass die Studie lediglich das Szenario «gesellschaftliche Weiterentwicklung wie bis anhin» kennt. Das heisst: höhere Lebenserwartung, mehr Wohlstand, wirtschaftliche Prosperität…! Andere Szenarien im Zusammenhang mit der international volatilen und unsicheren Situation wären nach Auffassung von Helvetic Care zusätzlich interessant gewesen.
An den Focus Days wurde dem Publikum ein abwechslungsreiches Programm geboten.
Was Lichtjahre mit Pensionskassen-Statistiken zu tun haben
Von der ganz anderen Seite – der Erfahrungen aus der Vergangenheit – näherte sich Dr. Jérôme Cosandey, Forschungsleiter Avenir Suisse, dem Thema an. Er räumte aufgrund von Fakten mit einigen Missverständnissen konsequent auf:
- Entscheidend für die Höhe der Renten ist nicht die Genderfrage (Frau/Mann). Vielmehr ist die Frage des Beziehungsstatus (ledig, verheiratet, Familie) ein Kernaspekt.
- Die aktuelle Generation der Renten beziehenden Menschen lebt nicht mehr auf Kosten der aktiven Generation (seit 2023 hat sich dies gewandelt).
- Das BVG ist ein Minimalgesetz (Obligatorium), das auf freiwilliger Basis ausgebaut werden kann: So sind die Umwandlungssätze insgesamt längst auf 5.4% gesunken, obwohl sie im Obligatorium nach wie vor wesentlich höher sind.
- Es ist unlauter, bei den Leistungen der Pensionskassen nur die Rentenzahlungen und keine Kapitalbezüge zu berücksichtigen. Avenir Suisse hat entsprechende Korrekturen bei den Zahlen vorgenommen.
- Die Situation einer aktuell 90-jährigen Frau, welche im 2. Weltkrieg geboren wurde, ist nicht anhand des heutigen, sondern des damals vorherrschenden gesellschaftlichen Verständnisses zu beurteilen. Genau dies sollten man wissen, wenn man Statistiken interpretiert. Diese haben teilweise massive Verzögerungen – ähnlich, wie wenn man Lichtjahre im All beurteilen muss.
Hochkarätige Podiumsdiskussion zur BVG-Abstimmung vom 22. September
Die anschliessende Podiumsdiskussion mit den politischen Schwergewichten Ständerätin Flavia Wasserfallen (SP, Bern) und Nationalrat Andri Silberschmidt (FDP, Zürich) verlief konstruktiv. An dieser beteiligten sich auch Dr. Lukas Müller-Brunner, Direktor des Schweizerischen Pensionskassenverbands ASIP, und der Professor für Philosophie Dr. Francis Cheneval. Die atypische und erfrischende Mischung von Teilnehmenden moderierte Dr. Hugo Bigi gekonnt.
Viel Neues konnte man dabei aber nicht erfahren. Für Flavia Wasserfallen fehlte am Ende der parlamentarischen Diskussionen das Augenmass für den sozialpolitischen Kompromiss. Für Andry Silberschmidt ist - trotz zahlenseitig aktuell schwierigen Diskussionen - zu berücksichtigen, dass jeder investierte Franken durch einen des Arbeitgebers und einen des Kapitalmarktes verstärkt wird. So wird das Rentensystem insgesamt gestärkt.
Meinungen ohnehin gemacht?
Die Meinungen dürften in diesem eher fachlich zusammengesetzten Publikum bereits gemacht gewesen sein. Dies, obwohl sich ein Teilnehmer öffentlich darüber ärgerte, dass er bereits ein Ja in die Urne gelegt habe, ohne die hohen Verwaltungskosten von CHF 8 Milliarden der über 1300 Pensionskassen-Einrichtungen berücksichtigt zu haben…
Tenor beim Flying Lunch
Ein sehr konstruktiver und informativer Anlass konnte mit informellen Gesprächen und einem Flying Lunch abgeschlossen werden.
Nach Meinung verschiedener Teilnehmenden wurde an der Tagung viel Information ohne Doktrin vermittelt. Und was die Abstimmung vom 22. September betrifft, waren die Meinungen in diesem Kreis klar und tendierten in jene Richtung, welche der Gastgeber, Thomas Boyer, CEO Groupe Mutuel, bereits bei der Begrüssung äusserte: «Es ist höchste Zeit, dass nun ein Modernisierungsschritt im BVG erfolgt.» Nur schon deshalb werde er persönlich dies am 22. September mit einem klaren Ja zu einer dringend fälligen Revision manifest machen.