Schweizer Altersvorsorge: Wer soll das noch verstehen?

Abstimmungen zur 13. AHV-Rente, zum Rentenalter 66 und zur BVG: Aktuell dreht sich die politische Debatte um die Schweizer Altersvorsorge – von allen Seiten wird man mit Informationen zugedeckt. Doch worum geht es wirklich? Ein Versuch der Einordnung.

Altersvorsorge
Mit einer guten Altersvorsorge sollten wir am Ende unseres Berufslebens die Früchte ernten können. Doch ist das wirklich so?
Otto Bitterli Helvetic Care

Inhaltsverzeichnis

  1. Das Wichtigste in Kürze
  2. Das 3-Säulen-System
  3. Die AHV
  4. Die berufliche Vorsorge (BVG) – Pensionskasse
  5. Die private Vorsorge (Säule 3a und 3b)
  6. Mehr Möglichkeiten – Einzahlungen über die Pensionskasse
  7. Fazit: Wissen hilft beim Abstimmen

Das Wichtigste in Kürze

  • Aktuell wird man von allen Seiten mit Informationen zu den Abstimmungen zur 13. AHV-Rente und zur Erhöhung des Rentenalters auf 66 zugedeckt. 
  • Zudem steht bald die Abstimmung zum BVG (berufliches Vorsorgegesetz) an.
  • Dabei fragt man sich: Wer soll das noch verstehen und worum geht es genau?
  • Ein Versuch, einige Fakten zusammenzustellen und eine da und dort sicher nicht ganz exakte, aber hoffentlich verständliche Einordnung vorzunehmen.
  • Im ersten Teil unserer kleinen Artikelserie werden die Geschichte und Fakten zum 3-Säulen-System beleuchtet. 

Das 3-Säulen-System

Im Ausland beneidet man uns um das 3-Säulen-System. Denn es bringt vielen Menschen einen hohen Wohlstand und ein hohe Sicherheit im Alter. Es muss aber aufgrund von gesellschaftlichen und demografischen Veränderungen immer wieder angepasst werden. Dazu gehören die höhere Lebenserwartung, der Geburtenrückgang und ein anderes Verständnis in Bezug auf Familie oder Arbeit.

Mehr zur Pensionierung und Altersvorsorge auf unserer Themenseite

2024 stehen zu unterschiedlichen Zeitpunkten diverse Abstimmungen an, die kaum im Gesamtkontext dargestellt werden. Doch das Schweizer System

steht vor einer Zerreissprobe.

Um die aktuellen Diskussionen einordnen zu können und als Unterstützung für die persönliche Entscheidungsfindung bei den Abstimmungen, sollte man die Geschichte der Altersvorsorge in der Schweiz in den Grundzügen und Zusammenhängen verstehen.

Diese Abstimmungen stehen an: 

3. März

Sommer/Herbst 2024

2023 hat das Parlament eine Reform des BVG verabschiedet. Sie soll 2024 vors Volk kommen. Unter anderem soll der Umwandlungssatz von 6,8 auf 6 Prozent gesenkt werden und Teilzeitmitarbeitende sowie Menschen mit einem geringen Einkommen sollen bessere Versicherungsmöglichkeiten erhalten.

Die AHV

1947 wurde die AHV (Alters- und Hinterlassenenversicherung) mit überwältigendem Volksmehr angenommen. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag bei der Einführung 1948 bei den Männern bei 66.4 und bei den Frauen bei 70.9 Jahren. Zum Vergleich: 2022 wurden Männer im Schnitt 81,6 und Frauen 85,4 Jahre alt.

Reformen

Die AHV wurde mehrfach an die veränderten Entwicklungen angepasst. Zu erwähnen sind die Erweiterung um die Ergänzungsleistungen von 1965, das sogenannte Splitting (individuelle Ansprüche sowie grundsätzliche Gleichbehandlung von Mann und Frau bei Scheidung) im Jahre 1995 sowie die sukzessive Anhebung des Rentenalters der Frauen von ursprünglich 62 auf 65 Jahre im Jahre 2022.

Renten

Was leider viele nicht wissen, ist die Abstufung der Individualrenten von mindestens CHF 1225 bis höchstens CHF 2450. Die konkrete Rente bemisst sich daran, dass man einerseits lückenlos und anderseits wie viel man über das gesamte Leben effektiv eingezahlt hat.

Das Maximum wird bei 44 Jahren an Beitragszahlungen und einem durchschnittlichen Einkommen von CHF 85‘320 erreicht.

Die AHV-Renten wurden immer wieder an die Kaufkraft angepasst. Eine Überprüfung erfolgt alle zwei Jahre. So wurden die Renten seit 1982 um 17 Prozent erhöht und so die Kaufkraftverluste der Rentenbezügerinnen und -bezüger ausgeglichen.

Finanzierung

Finanziert wird die AHV zu 73% über die Lohnabzüge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Sie leisten dafür die gleichen Beitragszahlungen von je 4.35%. Zusammen mit der Invalidenversicherung (IV) und Erwerbsersatzordnung (EO) werden insgesamt je 5.3% vom Einkommen abgezogen.

Die weiteren 27% werden durch die Mehrwert-, die Tabak- und die Bundessteuern gedeckt.

92% der aktuellen Rentenbezüger beziehen mehr Rente, als dass sie selbst je einzahlten. Es erfolgt eine Umverteilung, die von den höheren Einkommen (höhere Einzahlungen als Renten, höhere Bundessteuern) getragen wird.

Die AHV wird nach dem sogenannten Umlageverfahren finanziert. Dies bedeutet, dass die Einnahmen umgehend wieder zur Zahlung freigegeben werden. Es wird kein Kapital für allenfalls künftig höhere Renten und für die höhere Lebenserwartung angespart.

Auch wird dem Umstand, dass immer weniger Arbeitnehmer immer mehr Rentner tragen müssen, keine Rechnung - im Sinne von kalkulierten Ersparnissen - getragen. Als Reserve besteht der sogenannte AHV-Ausgleichsfond. Die Reserve liegt ungefähr in der Höhe der Rentenzahlungen von einem Jahr, aktuell bei ca. 50 Milliarden Franken.

Aktuelle Umsätze und Zahlen

Diskussionspunkte

Die Minimalrente vermag die Existenzsicherung nur sehr ungenügend zu erfüllen, wird argumentiert. Deshalb würden es in Zukunft viele Menschen im Rentenalter finanziell schwer haben und es drohe die Gefahr einer Altersarmut. Davon seien insbesondere Frauen und Teilzeitarbeitende betroffen.

Die Ergänzungsleistungen, welche in diesen Fällen helfen sollten, sind schwer zugänglich (bürokratisch) und vermögen meist nicht in genügendem Masse auszugleichen. Zudem möchten viele Betroffene nicht von solchen «Sozialleistungen» abhängig sein und würden den entsprechenden Bedarf nicht anmelden.

Die andere Seite argumentiert, dass die AHV nicht nachhaltig finanziert sei. Die höhere Lebenserwartung und das sich zunehmend verschlechternde Verhältnis zwischen arbeitender Bevölkerung und Rentenbezügern sei nicht berücksichtigt und werde eine immer grössere finanzielle Lücke öffnen.


Die berufliche Vorsorge (BVG) – Pensionskasse

Die berufliche Vorsorge in der Schweiz ist das Gegenstück zur AHV. Sie ist so kalkuliert, dass sie alle künftigen individuellen Bedarfe decken kann (sogenanntes Kapitaldeckungsverfahren). Die berufliche Vorsorge wird von den Unternehmen über Stiftungen oder Versicherungen vorgenommen.

Die berufliche Vorsorge basiert auf dem Prinzip des individuellen Sparens. Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer äufnet über das Berufsleben einen individuellen Betrag (Freizügigkeitsleistung). Dieser kann zum Zeitpunkt der Pensionierung in eine Rente umgewandelt oder als Kapital bezogen werden. Oft bestehen Regelungen in Bezug auf die maximale Höhe eines Kapitalbezugs.

Mit der Wahl eines Arbeitgebers (Arbeitsvertrages) erfolgt für den Arbeitnehmer automatisch auch die Wahl der Pensionskasse. Ein Umstand, der beim Vertragsabschluss oft kaum Beachtung findet, aber in Bezug auf das gemeinsam von Arbeitnehmer und Arbeitgeber investierte Geld zweifellos von grosser Bedeutung ist.

Die berufliche Vorsorge ist und bleibt ein Teil der Sozialversicherungen und ist - obwohl «privat» betrieben – in verschiedener Hinsicht stark mit der AHV und der Sozialversicherung verbunden. Dies drückt sich unter anderem darin aus, dass

Um diesen Sachzwängen (teilweise) zu entgehen, bestehen für viele Unternehmen BVG-Minimallösungen (Minimalgehalt: 3675.- Maximalgehalt: CHF 62‘475 Franken pro Jahr). Der überschiessende Teil des Einkommens (grösser als 3‘675.- pro Jahr) wird dann zusätzlich und teilweise nach anderen Parametern (insbesondere tieferen Umwandlungssätzen) versichert.

Auch betreiben verschiedene Privatversicherer mittlerweile die sogenannte «vollumfängliche Versicherung nach BVG» nicht mehr. Sie organisieren das Geschäft zunehmend über Stiftungen, in denen sie freier sind und «nur» die BVG-Minimalversicherung einschliessen.

Geschichte: Reformen und Reformversuche

Das 3-Säulen-Konzept wurde 1972 verabschiedet und mit der Einführung der obligatorischen beruflichen Vorsorge (BVG) 1985 umgesetzt. 

Aktuelle Umsätze und Zahlen

Aufgrund der bestehenden vielfältigen Organisation mit über 1300 Stiftungen und den Angeboten der Privatversicherer ist es schwierig, konsolidierte und verlässliche Zahlen über den Gesamtmarkt zu erhalten.

Das Bundesamt für Sozialversicherungen (Oberaufsicht über das BVG) publiziert jährlich Zahlen, bei denen jedoch das Geschäft der Privatversicherer teilweise nicht enthalten ist. Einige Angaben aus diesem Bericht für 2021, welche die Bedeutung der beruflichen Vorsorge darstellen, finden sich im Folgenden:

Bezüger:innen Altersrenten:  870'000

Einzahlungen: 52'649 Milliarden Franken

Freizügigkeitsleistungen: 8477 Milliarden Franken

Rentenleistungen: 32'256 Milliarden Franken

Kapitalleistungen: 12'538 Milliarden Franken

Vorhandenes Kapital: 1400 Milliarden Franken*

* Die Unterschiede in der Finanzierung von AHV und BVG werden dadurch ersichtlich, dass das vorhandene Kapital bei der AHV ungefähr einer Jahreszahlung (50 Milliarden) entspricht. Dasjenige bei den Pensionskassen lag 2021 bei mehr als 20 Jahresausgaben (1400 Milliarden).

Diskussionspunkte

Der grosse inhaltliche Schritt in der Entwicklung des BVG erfolgte mit der Freizügigkeit. Jede(r) Arbeitnehmer:in kennt das ihm zugesprochene Guthaben. Dieses geht bei einem Arbeitsplatzwechsel mit. Für viele Menschen dürfte das Pensionskassen-Guthaben der grösste Posten im privaten Vermögen darstellen.

Arbeitnehmer sind aber immer noch nicht frei in der Entscheidung, bei welcher Pensionskasse sie versichert sein möchten. Dieser Entscheid fällt letztlich der Arbeitgeber. Dieses Thema wird immer wieder diskutiert. Eine Umsetzung wäre wohl sehr schwierig vorzunehmen.

Mit dem BVG erfolgte über die Zeit eine sehr grosse Ansammlung von Vermögen bei Stiftungen und privaten Versicherungen (vgl. Zahlen oben). Die damit verbundene Wirtschaftsmacht und die Auswirkungen dieser Vermögensanlagen auf die Wirtschaft und die Immobilien- und Finanzmärkte werden immer wieder kritisiert.

Trotz eines Umwandlungssatzes im BVG von immer noch 6.8% haben viele Stiftungen und private Versicherungen die Umwandlungssätze für Einkommen, die über das BVG-Minimum hinausgehen, massiv gegen unten angepasst. Zahlreiche Pensionskassen mussten in der Vergangenheit saniert werden.

Damit besteht zwar aktuell eine höhere Sicherheit. Hingegen sind die erwarteten und indirekt versprochenen Renten in den letzten zehn Jahren teilweise stark reduziert worden. Aktuell gehen viele Arbeitnehmende mit effektiven Umwandlungssätzen von 5% in Rente. 

Auch haben sich die Pensionskassen-Renten aufgrund erhöhter Scheidungsraten und dem Bezug des Kapitals zur Wohneigentumsförderung reduziert und entsprechen nicht mehr den ursprünglichen subjektiven Erwartungen der Versicherten.


Die private Vorsorge (Säule 3a und 3b)

Privatrechtliche Verträge

Die private Vorsorge basiert grundsätzlich auf privatrechtlichen Verträgen zwischen Individuen und Versicherungen und Banken.

In der Regel besteht nur bei der gebundenen Form der privaten Vorsorge die Möglichkeit, Mittel bis zu einem jährlich festgelegten Maximalbetrag (aktuell CHF 7056 pro Jahr) steuerbefreit einzuzahlen.

Man unterscheidet zwischen gebundener und ungebundener Vorsorge.

Gebundene Vorsorge (3a)

Die gebundene Vorsorge ist gesetzlich geregelt. Man geht einen Vertrag über eine längere Zeit ein. Die jährlich einzuzahlenden Mittel können bis zu einem Höchstbetrag (aktuell CHF 7056) abgezogen werden.

Die angesparten Mittel sind nicht jederzeit frei verfügbar. Auf die Mittel kann nur in bestimmten Fällen zurückgegriffen werden. Dies sind:

Viele Verträge der gebundenen Vorsorge sind mit einem Versicherungsvertrag (Tod, Invalidität) gekoppelt. Dabei wird eine zu erreichende Kapitalleistung definiert, die bei Pension zur Auszahlung kommen soll. Diese Leistung wird aber auch vollumfänglich ausbezahlt, wenn das versicherte Ereignis (Tod, Invalidität) bereits während der Laufzeit eintritt.

Auch sind in der gebundenen Vorsorge teilweise technische Zinsentwicklungen garantiert. Wird der Vertrag vor Ablauf aufgelöst, kommen Rückkaufwerte zum Tragen. Dies bedeutet, dass nicht die gesamte angesparte Summe ausbezahlt wird, sondern nur der Teil abzüglich der Prämie für die Versicherung und der Zinsgarantie.

Ungebundene Vorsorge (3b)

Demgegenüber ist die freie, ungebundene Vorsorge nicht an eine Versicherungsleistung und an gesetzliche Regelungen gekoppelt. Sie ist eine reine Sparversicherung. Man kann stets jene Beiträge einzahlen, die zur Verfügung stehen. Eine Auflösung ist jederzeit möglich. Es kommt somit der gesamte angesparte Betrag zur Auszahlung.

In aller Regel ist die ungebundene Vorsorge nicht abzugsfähig von der Steuer.

Mehr Möglichkeiten – Einzahlungen über die Pensionskasse

Mittlerweile haben sich viele Formen von neueren Angeboten in der freien Vorsorge ergeben. Insbesondere sind Anlageoptionen für beide Formen der 3. Säule möglich. Früher bestanden diese eher in der Vorsorge 3b.

Auch sind zusätzliche private Einzahlungen in die Pensionskasse möglich.

Aktuelle Umsätze und Zahlen

Insgesamt lagen 2022 Vermögenswerte bei der Säule 3a im Umfang von fast 140 Milliarden vor. Diese verteilten sich zu 89 Milliarden auf die Banken und zu 51 Milliarden auf die Versicherer. Zur Säule 3b lassen sich kaum aussagekräftige Daten zum Gesamtmarkt finden.

Fazit: Wissen hilft beim Abstimmen

Eine Altersvorsorge – drei Säulen: Wir hoffen, dass wir mit diesem Artikel die Zusammenhänge des Systems in der Schweiz aufzeigen konnten. Ebenfalls hilft der Blick in die Vergangenheit, um das Hier und Jetzt zu verstehen. 

Doch was hat dies mit der aktuellen Diskussion und den Abstimmungen zu tun? Darauf gehen wir in einem weiteren Artikel ein. In diesem zeigen wir auf, wie sich die Gesellschaft mit der Altersvorsorge ändert und warum das Thema so brisant und emotional ist.

Wir sind überzeugt, dass Wissen hilft, Entscheidungen zu fällen. Schliesslich geht es um die Zukunft unserer Altersvorsorge und somit um das künftige Leben im Alter. Wir hoffen, dass dieses auch die kommenden Generationen dank einer guten Absicherung so selbstbestimmt wie möglich gestalten können.

Das haben wir nicht erwähnt

Im Artikel sind die speziellen Regelungen für die Selbständigerwerbenden nicht berücksichtigt. Ebenfalls nicht berücksichtigt ist die Situation der Menschen, die aufgrund eines Unfalls eine Rente beziehen.