Babyboomer, welche Welt hinterlasst ihr uns? Ein offener Brief eines «Boomer-Babys»

Die Babyboomerinnen und Babyboomer haben viele Spuren hinterlassen. Welche Werte haben sie ihren Nachkommen mitgegeben und was wollen diese anders machen? Ansichten eines «Boomer-Babys».

Babyboomer, welche Welt hinterlasst ihr uns? Ein offener Brief eines «Boomer-Babys»
Maja Sommerhalder

Liebe Babyboomerinnen und Babyboomer

Ich, 42, war einst ein Baby von euch Babyboomern, nennt mich gerne «Boomer-Baby».

Ihr habt meine Generation geprägt. Gut so, zumindest meine Eltern ermöglichten mir eine schöne Kindheit in der Schweiz. Sicher stand diese nicht so im Zeichen des Aufschwungs und Wirtschaftsbooms wie eure, doch ihr habt uns viel geboten.

Die meisten von uns wuchsen im materiellen Wohlstand auf – Lebensmittel- oder Energieknappheit – all dies kannten wir höchstens aus Erzählungen, uns fehlte es an nichts. Die Welt war noch nicht so krisengeschüttelt wie heute und auch die globale Erwärmung schien noch in weiter Ferne.

Hättet ihr früher handeln müssen?

Sicher, eure Generation hätte mehr gegen die Klimaerwärmung tun sollen. Die Schuld auf euch als Einzelpersonen abzuwälzen, halte ich aber für falsch. Denn viele Babyboomer lebten damals nachhaltiger, als wir es heute tun.

Zumindest in meiner Familie unternahmen wir schon aus finanziellen Gründen keine Fernreisen und meine Eltern kauften sich selten etwas Neues. In unserem Haus gab es wenig technische Geräte – erst als ich acht Jahre alt war, legten wir uns einen Fernseher zu.

Ich erbte die Kleidung meiner älteren Schwestern und Gemüse wurde im eigenen Garten angepflanzt. Spielsachen gab es für uns drei Kinder nicht im Übermass. Und wenn dann pädagogisches wertvolles Zeugs aus Holz. Von Barbiepuppen oder Playmobil-Häusern träumte ich in meiner 80er- und 90er-Jahre Kindheit.

Im Wald, August 1987.

Im Wald, August 1987.

Dass wir Mädchen waren, war nie ein Thema

Rückblickend bin ich froh darüber. Denn meine Eltern investierten vor allem in unsere Bildung. Wir drei Schwestern durften alle studieren, dass wir Mädchen waren, war nie ein Thema. Sicher musste da so manche Babyboomerin noch mehr für ihre Ausbildung kämpfen oder konnte ihre Träume gar nicht erfüllen.

Uns Jungen schien die Welt offenzustehen, was aber auch Probleme mit sich brachte. Ausbildung? Studieren? Weltreise? Selbstfindungstrip in Asien? Familiengründung? Eine Entscheidung zu fällen, war bei all diesen Möglichkeiten nicht leicht – viele von uns litten oder leiden noch immer an Orientierungslosigkeit.

Dank euch sind verschiedene Lebensentwürfe möglich

Trotzdem ist es für mich ein Glück, dass heute verschiedene Lebensentwürfe möglich sind. Nehmen wir die Homosexualität – in eurer Jugend wurde die gleichgeschlechtliche Liebe meistens im Verborgenen gelebt. Heiraten, Kinderkriegen, der Vater als Versorger, die Mutter als Hausfrau – das war der gängige, aber sicher nicht immer der richtige Weg.

Gut, vielleicht gibt es weniger Konflikte, wenn die Rollen beim traditionellen Familienmodell klar verteilt sind. Wir hingegen jonglieren zwischen Kind, Karriere, Haushalt und Freizeit, was selten stressfrei ist. Aber: Kinderbetreuung rund um die Uhr ist ebenfalls anstrengend. Ich bin jedenfalls froh, dass ich neben meinen Kindern arbeiten darf und aus finanziellen Gründen auch muss!

Wir haben viele Probleme zu lösen

In dieser Hinsicht hat sich euer Kampf für mehr Gleichberechtigung gelohnt. Herzlichen Dank. Nun müssen wir dafür sorgen, dass unsere Gesellschaft offen und bunt bleibt. Und ja, es gibt viele Probleme zu lösen – diese sind teils so gross, dass sie viele von uns lieber ignorieren.

Da ziehen wir uns gerne ins Private zurück und beschäftigen uns mit unseren persönlichen Sorgen. Das mutet vielleicht mimosenhaft an, aber immerhin dürfen wir diese heute thematisieren.

Vorbilder für ein selbstbestimmtes Leben im Alter

Denn mein Eindruck ist, dass früher viel mehr verdrängt wurde. «Reiss dich zusammen» oder «Augen zu und durch» waren in eurer und auch noch in meiner Jugend die Parolen. Manchmal mag das richtig sein, doch ist es nicht besser, für seine Bedürfnisse einzustehen?

Wahrscheinlich seid ihr Babyboomer, die erste Generation der künftigen Alten, die das gelernt hat. Ihr werdet euch nicht mehr vorschreiben lassen, wie ihr im Alter leben sollt. Vielleicht wird vieles für uns dadurch unbequemer. Denn mehr Selbstbestimmung kann bedeuten, dass man es nicht allen recht machen kann. Gut so! Damit seid ihr für uns Vorbilder für ein selbstbestimmtes Leben im Alter.

Herzliche Grüsse

Euer «Boomer-Baby»